Die Kaufkraft der Venezolaner war zwischen 1950 und 1978 am höchsten. Deswegen haben viele Venezolaner Chávez beim ersten Mal gewählt: sie dachten, er würde entweder den Wohlstand UND Sicherheit zurückbringen, die sie während der Herrschaft des Diktators Pérez Jiménez - ein Idol des Chávez- erlebten oder den Wohlstand der Zivilregierungen von 1973-1976. Der Wissenschaftler Miguel Angel Santos vom Wirtschaftszentrum IESA hat jetzt jede Menge Daten analysiert und ist zum Schluss gekommen, dass die durschnittliche Kaufkraft des Venezolaners im Jahr 2011 die von 1966 entsprach. Das sagt uns El Universal heute. Die Produktivität der Venezolaner, sagt uns Santos, ist einfach so niedrig wie nie zuvor. Es wird nicht mehr in Kapitalanlagen investiert.
Venezolaner von heute sind nur so produktiv wie damals, trotz allerlei Maschinen , Verfahren und Kenntnisse im allgemeinen, die seit 50 Jahren eingeführt wurden |
Die Ökonomen haben mehrere Erklärungen für den Produktivitätsschwund. Politische Entscheidungen spielen dabei eine grosse Rolle: Gesetze wurden nicht respektiert, Eigentumsrechte wurde verletzt, der Arbeitsmarkt geriet auch in Ungleichgewicht.
Mehrere Analysten nennen mehrere konkretere Faktoren. Die Währung wurde zB aus populistischen Gründen immer wieder überbewertet - so wie jetzt-. Zuschüsse wurden bedingungslos vergeben. Preiskontrollen wurden allzu oft eingeführt. Administrative Kontrollen wurden zu Last, gleichzeitig wurden Steuerausnahmen für politische Kunden ständig eingeführt. Die zunehmende Abhängigkeit vom Erdöleinkommen und die Schwankungen des Erdölpreises haben dazu geführt, dass die Regierungen extrem kurzfristig dachten und die Zusammenarbeit zwischen Politik und Wirtschaft einfach verschwand.
Es gibt einige Faktoren, die ich vermisse. Sie erwähnen kaum die Tatsache, dass sie immer weniger in Humankapital investiert haben - nicht, dass es jetzt besser wäre, ganz im Gegenteil - russische Waffen sind prioritär. Im Artikel wird auch nicht darauf eingegangen, wie die Entwicklung eines Dienstleistungssektors so negativ sein kann. Der Tertiärsektor ist ja überall gewachsen. Was die Wissenschaftler - oder zumindest die Journalisten von El Universal - nicht sagen, ist, dass in Westeuropa, in den Vereinigten Staaten oder in China der Sekundärsektor trotz zunehmender Bedeutung des Dienstleistungssektors immer effizienter wurde. Sie sagen auch nicht, dass der Tertiärsektor in Venezuela eine ganz andere Dimension hat als in Europa oder in Nordamerika. Sie sagen auch nicht, wieso Venezuela eine solche Abhängigkeit vom Erdöl entwickeln konnte, während die Norweger sich streng an Massnahmen hielten, die diese Erdöleinnahmen zur nachhaltigen Entwicklung einsetzten. Wieso, wieso?
Irgendwie habe ich also mehr Fleisch im Artikel erwartet...interessante Fakten gab es schon. Hoffentlich hat unsere zukünftige Regierung einige Ideen, um diesen Trend umzukehren.
Die Prognosen sind düster: zwischen 2007 und 2010 ist die private Investition um 43.6% gesunken. Ich bin sicher, was die Chávez-Anhänger sagen werden: das geschieht, weil die Reichen ihre Münze horden.