Hugo Chávez, Der Spiegel und die vielen Wahrheiten



Chávez kam zurück aus Kuba und erklärte nun, dass er "wieder" Krebs hat...als ob er jemals genesen wäre. Er erklärte uns auch, dass Nicolás Maduro der Vizepräsident ist - das wussten wir schon - und dass falls er, Chávez, nicht mehr fähig wäre, im Amt zu bleiben, das Volk Nicolás Maduro als Präsident Venezuelas wählen soll. Also: Maduro ist des Caudillos Kandidat.

Das war gestern spät in Venezuela. Fast alle Europäer schliefen um die Zeit. Und nun entdiecke ich diesen Artikel im Spiegel. Seit Jahren hatte ich so was im Spiegel nicht mehr gelesen...es scheint, als käme der Text aus Le Monde Diplomatique oder aus einer Seite der Linken-Partei.

Was steht da?

"Acht Millionen Venezolaner erhalten über die Missionen in der einen oder anderen Form staatliche Unterstützung. Chávez sorgt so für alleinerziehende Mütter, Analphabeten, stellt medizinische Versorgung, finanziert Aus- und Weiterbildung, vergibt Stipendien und hilft Obdachlosen. 34 Missionen hat die Regierung bisher aufgelegt. 300 Milliarden Dollar hat der Linksnationalist seit 1999 in diese Programme gepumpt. In seinen 14 Jahren an der Macht sank nach Uno-Angaben die Arbeitslosigkeit von 13 auf acht Prozent, die Armut von 50 auf 32 Prozent."

Kein Kontext. Das Wort "Erdöl" wird nur einmal erwähnt und zwar als der Schreiber erzählt, man verwendet jetzt Erdöleinkünfte für die Armen.

Wer hat das geschrieben? Es war ein Herr Klaus Ehringfeld, ein Deutscher, der seit 2001 in Mexiko  lebt. In seiner Biographie hier erkenne ich die üblichen Themen der alten Linken: wie Kuba den "Kommunismus" zu retten versucht...und natürlich, wie die multinationalen Konzerne Lateinamerika ausbeuten.

Es ist nicht, dass es in Venezuela keine soziale Programme gäbe. Das ist wahr. Es ist nicht, dass es keine Millionen Menschen gibt, die Chávez unterstützen...das ist auch wahr. Das weiss ich sehr genau. Auch mehrere meiner Verwandten unterstützen Chávez, wie viele Russen auch Putin unterstützen. Ich weiss auch, dass die Castroregierung ihre Macht zu verteidigen versucht, was sie "Sozialismus" nennen. Natürlich wurde Haiti Opfer der Mächtigen...Frankreich hat Haiti so ausgepresst wie nur möglich, die USA-Amerikaner haben das Land immer wieder besetzt, NGOs haben Haiti von Entwicklungshilfe abhängiger gemacht. Man muss aber auch andere Wahrheiten nicht verschwinden lassen.

Herr Ehringfeld sucht seine Wahrheiten sorgfälltig aus.

Lass uns aber nur über Venezuela hier sprechen, denn dies ist ein Blog über Venezuela und ich bin ein Venezolaner.


  1. Ehringsfeld erwähnt nicht, dass es in Venezuela seit vielen Jahrzehnten soziale Programme gab - um den Analphabetismus zu bekämpfen. Er sagt nicht, dass die Analphabetenrate nicht schneller gesunken ist, seitdem Chávez an der Macht ist, trotz Recorderdölgewinne. Dies kontrastiert natürlich mit dem Märchen, das von Sarah Wagenknecht wiederholt wird, Venezuela habe den Analphabetismus besiegt und der Analphabetenanteil der Bevölkerung wäre geringer als in Deutschland und zwar "von UNESCO bestätigt". Die Wahrheit? Die Chávez-Regierung hat um das Jahr 2004 oder 2005 eine Studie selbst produziert, wonach Menschen befragt wurden, ob sie lesen konnten oder nicht. Die Regierung hat dann die Daten auf ihrer Seite des UNESCO-Portals hochgeladen und dann erklärt, das sei alles "von den Vereinten Nationen bestätigt worden". Die Chávez-Regierung kann aber nicht mal konsequent sein und letztes Jahr kam aus der Volkszählung heraus, dass wir immer noch 5%  Analphabeten haben. Ende der Neunziger Jahren waren es 7%, von denen die meisten über 60 Jahre alt waren. Die Chávez-Regierung hat keine unabhängige Studie durchführen lassen und wehrt sich, die PISA-Studie in Venezuela zuzulassen. Nur die Opposition hat diese PISA-Studie in Miranda durchgeführt und zwar trotz Hürden der Nationalregierung.
  2. er erwähnt nicht, dass es schon vor Chávez Programme zur Weiterbildung gab, zB beim INCE, Instituto de Capacitación y Educación, der nun INCES (Instituto de Capacitación y Educación Sociaista) heisst. Dieses Institut und andere haben tatsächlich mehr Geld as in den Neunziger Jahren...und zwar aus den Erdöleinkünften...
  3. Ehringsfeld sagt auch nicht, dass der Erdöl seit 1998 immer wieder gestiegen ist, von $12 pro Fass damals bis über $100 jetzt...er sagt nicht, dass das das Alpha und Omega Venezuelas ist. Er sagt nicht, dass es in den Siebziger Jahren und Anfang der Achziger die sozialen Programme viel umfangreicher und effektiver as die der Neunziger Jahren waren und wie dies mit dem Erdölpreisniveau zu tun hat.
  4. er sagt nicht, dass die Chávez-Regierung in 12 Jahren weniger Sozialwohnungen baute als während der 5 Jahren zweiten Amtszeit von Caldera, als der Erdölpreis nur ein Bruchteil von heute war. Er sagt nicht, dass diese Regierung erst für die Wahlen von 2012 anfing, wieder Wohnungen zu bauen - ohne die entsprechenden  Schulen, Krankenhäuser, Grüngebiete, einfach ohne Planung und nur für die Wahlen
  5. er erzählt, dass die Leute vor allem Pseudojobs bei der Verwaltung bekamen oder einfach als Strassenhändler schuften müssen, also schwarz. Er erläutert nicht, dass dies nicht nachhaltig sein kann. 
  6. er verschweigt, die Tatsache, dass die Industrie unter der Chávez-Regierung deutlich gelitten hat, dass die Abhängigkeit vom Erdöl deutlich gestiegen ist und dass wir jetzt nicht 80%, wie im Jahr 1998, sondern über 95% unserer Devisen aus dem Erdöl erzielen
  7. er erzählt nicht, dass obwohl die Armut angeblich so stark gesunken ist, die Kriminalität dramatisch gestiegen ist, dass Venezuelas Mordrate im Jahr 1998 19 Morde pro 100 000 Einwohner betrug und jetzt über 65, womit das Land das bei weitem höchste Mordrate Südamerikas hat, viel höher als in Kolumbien oder Brasilien.
  8. er sagt auch nicht, dass Chávez laut Verfassung gar keinen Familienangehöriger as Nachfolger ernennen kann, so dass die Ernennung von Maduro gar keine Überraschung war...wir wissen auch, dass das Volk den anderen wichtigen Bonzen, Cabello, gar nicht mag. Chávez hat einen Bruder als Gouverneur eines Bundesstaates, einen anderen as Bürgermeister seiner Heimat und einen anderen as Vizepräsident von PDVAL...nur um seine Brüder zu nennen.
  9. er beschreibt nicht, wie die Regierung in den Monaten vor den Wahlen Staatsresourcen benutzt hat, um Hunderdtausende chinesische Plasmabildschirme, Kühlschränke, Waschmischen sehr billig zu verkaufen, dafür aber das Geld nicht in Krankenhäuser oder Schulen investiert hat
  10. last but not least, er erwähnt nicht, dass der Anteil der Armen in vielen anderen Ländern Lateinamerikas genauso stark oder stärker gesunken ist und zwar ohne Erdöl.
Na ja...es gibt vieles mehr, was der Herr Ehringsfeld nicht erwähnt. Er sagte aber, Chávez sei ein "Linksnationalist". Wo habe ich das wieder gelesen? Ja, bei Michael Zeuske. Das ist alte-Linke-Lingo für "guter Nationalist":  links gut, rechts schlecht. Für diesen Mann sind die Fronten deutlich: es gibt nur die Bösen und die Guten und wer gegen Chávez ist, ist sicher für die bösen multinationalen Konzerne und gegen die Armen. Oder? 

Spiegel hätte vielleicht einen guten Journalist mit diesem Thema beauftragen müssen.
Venezuelas Alpha und Omega: ohne dies lässt sich das Land seit 1937 nicht mehr erklären




Einige Quellen zu Bildung und Analphabeten
UNESCO
Eurosur
INE